Vor 102 Tagen wurde es beschlossen: Aufgrund der COVID-19 Situation wurden meine Kollegen*innen und ich ins Home-Office geschickt. Zunächst auf unbestimmte Zeit. Diese Woche Montag war ich erstmals – mit Nasen-Mund-Maske – im Büro. Damit war ich insgesamt 100 Tage im Home-Office, mit all den schönen Höhen und Tiefen, die es mit sich zog. Corona (wie COVID-19 allgemein hin betitelt wird) ist noch lang nicht vorbei und daher ist auch die Rückkehr ins Office mit Vorsicht zu genießen. Dennoch merke ich eine deutliche Verbesserung meiner Psyche. Denn so schön es für einige klingen mag, auf Dauer ist Home-Office für Menschen wie mich keine Lösung.
Flucht zu Freundinnen
Am Abend der Verkündung traf ich mich noch mit zwei Freundinnen zu einem geplanten Spieleabend. Der Ironie wegen spielten wir drei Runden “Pandemic” und hatten zweimal verloren, als aus der Epidemie eine Pandemie wurde. Zumindest einmal konnten wir die Pandemie verhindern. In der folgenden Woche floh ich spontan zu Freundinnen in der Nähe von Stuttgart. Damals wusste man noch nicht, was nun passieren würde. Immer wieder kam das Thema “Ausgangssperre”. Am Ende der Woche wurde dann der Lockdown bekannt, den wir mittlerweile alle kennen sollten.
Mit Verkündung des “Home-Office auf unbestimmte Zeit” war mir sofort klar, dass das meiner Mental Health (psychischen Gesundheit) nicht gut tun würde. Vor allem nach 2019, als ich sehr viele Probleme mit meiner Mental Health hatte, wusste ich, dass das nur in die Hose gehen würde. Im vergangenen Jahr begann ich mich vor allem meinen Kollegen*innen gegenüber offener zu verhalten. Ich hatte gelernt, dass Isolation mir einfach nicht gut tun würden. Und dann hatten wir das Worst Case Scenario: Home-Office auf unbestimmte Zeit.
Mittagscall gegen die Einsamkeit des Home-Office
Nachdem ich wieder zurück in Mainz war, wurde einen Tag später der Lockdown durchgeführt. Ich hatte jeden Tag Angst vor einer Ohnmacht. Ich hatte so Angst davor, dass meine depressiven Gedanken wiederkehren und ich zu niemanden kann. Mir ging es nicht als einzige so, deswegen beschlossen einige Kollegen*innen und ich, dass wir jeden Tag einen Mittagscall abhalten würden. Es etablierte sich zu einer Routine, die wir auch nach 100 Tagen weiterführen, obwohl einige von uns mittlerweile im Büro sitzen und arbeiten. In den ersten Wochen war das Mittagscall lustig, gut besucht und tat gut. Anfangs waren wir quasi noch voller Hoffnung.
Alle zwei Wochen wurde verkündet, dass das Home-Office um weitere zwei Wochen verlängert würde. Mit jeder Woche schwand die Motivation. Das traurige Tief kam etwa nach 50 Tagen, als wir alle frustriert und traurig waren. Die Stimmung kippte und es wurde zunehmend düster in unseren Calls. Nicht nur ich beschwerte mich über psychische Probleme der Isolation. Auch andere. Der Clou: Es gab tatsächlich Unterschiede zwischen Single-Haushalte und jenen, die mit anderen (teils in einer Beziehung) zusammen leben. Die Singles waren weitaus früher psychisch instabil. Die anderen folgten erst 2-3 Wochen später. Die Mittagscalls zogen wir dennoch durch. Wir wollten füreinander da sein. Jeden Tag. Und ich glaube fast, dass es gut war. Auch in den schwierigen Zeiten.
Der fehlende sportliche Ausgleich
Seit 2015 treibe ich mehrfach die Woche Sport. Football, Leichtathletik, Fitnessstudio und zusätzlich mit dem Rad jeden Tag insgesamt 10 km zur Arbeit und zurück. Das fiel mit einem Schlag weg. Alles wurde geschlossen. Das Training fiel bis aufs Weitere aus. In der Woche bei den Freundinnen, machten wir nur in einer kleinen Gruppe Sport. Das blieb irgendwann aus. Als mein Trübsal einsetzte, hatte ich knapp zwei Wochen gar keinen Sport mehr getrieben. Mit jeder Woche verlor ich den Anreiz irgendwo hin zu fahren. Ich war von meiner eigenen Nicht-Motivation genervt und begann mit dem Spaziergang. Anfangs noch kleine Runden, bis es immer mehr wurden. Teils sogar mehrfach am Tag. Ich fand daran so viel Gefallen, dass ich es immer mehr machen wollte.
Es tat so verdammt gut. SO. VERDAMMT. GUT. Seit drei Tagen komme ich nach Hause in dem Wissen, dass ich Freizeit habe und mein privater Raum nicht mit dem Beruf geteilt werden muss.
Doch irgendwann war dieser Frustrationspunkt des Home-Office erreicht. Ich hatte gar keine Lust mehr auf irgendwas. Meine Mental Health ging schlagartig in die Brüche. Jeden Tag versuchte ich mich zu motivieren und es wurde immer schlimmer. Ich befürchtete die lang erwartete depressive Phase und die Rückkehr der fiesen Gedanken aus 2019. Da ich die Zeichen frühzeitig erkannte, zog ich rechtzeitig die Leine. Ich erkannte meine Erkrankung und handelte dementsprechend. In den letzten Wochen wurde das jedoch immer mehr. Zuhause fand ich keinerlei Ruhe mehr, weil es durch das Home-Office seit knapp drei Monaten massiv gestört war. Ich bekam zuletzt sogar Schlafstörung.
Wandern, Spieleabende und Abstand
An Ostern und zum ersten Juni ging ich mit einer Freundin und ihrem Freund Wandern. Drei Stunden über unbekannte Wege. Es tat so verdammt gut! Ich fand in der ganzen Panik der Isolation einen Mittelweg. Ich konnte mich weiterhin mit der Freundin treffen. Wir machten regelmäßig Spieleabende und es tat verdammt nochmal richtig gut. Schnell merkte ich also, dass der menschliche Kontakt für mich so wichtig war. Auch mit anderen Freundinnen traf ich mich immer wieder zu virtuellen Spieleabenden oder telefonierte schlicht per Videocall.
Dennoch fiel ich vor einigen Wochen in ein schlimmes Tief. Kein depressives Tief, aber dennoch ein schlimmes Tief. Ich konnte irgendwann einfach nicht mehr schlafen. Blieb lang wach, schlief lang, aber eigentlich war ich die halbe Nacht wach und sprang von einem Traum in den nächsten. Ich war teils nach dem Schlafen mehr fertig, als davor. Meine Nerven waren blank, der Körper einfach fertig. Selbst das Wandern Anfang Juni war ein mega Akt, sich dafür aufzuraffen. Es ging, aber mehr mühselig oder glückselig. Mein Tagebuch wurde während des Home-Office so massiv genutzt, dass ich nach knapp einem halben Jahr das Notizbuch fast voll habe. Aber jedes Wort in diesem Tagebuch half mir, die Isolation besser zu verkraften und meine Gedanken zu ordnen.
Neue Hobbys bahnen sich ihrer Wege
Neben der vielen Mental Health Probleme, die durch das Home-Office auftauchten, gab es natürlich auch einige Dinge, die positiv waren. Anfang April begann ich mit TikTok (Klick hier für mein Profil), einer APP, die ich bis dato boykottiert hatte. Ich wollte auf ein Video einer Kollegin reagieren und das eine führte zum anderen. Meine FYP (=For You Page = Startseite mit Video Vorschlägen) ist durch den beeindruckend guten Algorithmus voll mit Gay Content. Die Applikation ist bekannt dafür, besonders unter Teenager und Jugendlichen beliebt zu sein. Und dann gibt es da diese kleine Ecke in der APP, die nur für die Menschen der LGBTIQ+ Community vorbehalten ist. Zu der Zeit war ich mittendrin in meiner Selbstfindungsphase und hatte gerade vor einen Monat das Label lesbisch für mich akzeptiert. Da tat diese kleine Ecke in TikTok unglaublich gut. Es veränderte mein gesamtes Selbstbewusstsein zum Positiven.
Daraus resultierte auch, dass ich zunehmend auf Instagram überlegte, meinen Content zu ändern bzw. anzupassen. Ich begann mich quasi auch dort öffentlich zu outen und mich für die Rechte der LGBTIQ+ Community stark zu machen. Ich teile seitdem viele Infos , die auch meine Allys (Verbündete der Community) verfolgen und weiterbilden. Es tut gut, weil es das ist, was mich seit meiner Kindheit beschäftigt. Auch wenn ich es nie wollte, wurde ich zu einer der lauten Feministinnen. Feministin war ich schon immer, aber eher im stillen Kämmerchen. Jetzt auch öffentlich auf meinem Instagram-Kanal. Das wäre so in dem Ausmaß vermutlich nie möglich gewesen, wenn ich durch Corona und die fehlende Beschäftigung außerhalb der Arbeitszeit (Team-Training war immer noch Tabu) nicht die Langeweile für TikTok verspürt hätte. Aber ich bin nun weitaus glücklicher mit allem, was meine Findungsphase betrifft.
WayHaught und andere Serien
Die viele Freizeit nutzte ich allerdings auch für diverse Serien und Filme. Immerhin wurde zu der Zeit auch noch Disney+ in Deutschland freigegeben. Es war alles bereit, sich komplett in fiktiven Charakteren zu verlieren. Anfang/Mitte Mai führte mich ein TikTok Fanvideo zur Netflix Serie “Wynonna Earp“. Holy, diese Serie hat mir final bestätigt: Jupp, du bist lesbisch as fuck und das ist gut so. Ich entwickelte so einen krassen fictional Crush auf die Charaktere “Nicole Haught” in der Serie. Das Shipping (eine Paarung von Charakteren, die man in einer romantischen Beziehung sieht oder gar ist) “WayHaught” füllte meine letzten Wochen. WayHaught ist der Name von Waverly Earp und Nicole Haught, eines der besten lesbischen Paare, die ich je in Serien erlebt habe. Die beiden toppen mein bis dato All-Time Favorit “Clexa” (Clarke und Lexa aus “The 100”).
Nachdem ich die drei Staffel durch hatte, wollte ich etwas anderes schauen, doch es ging nicht. Was also tun? Korrekt, ich begann die Serie erneut zu schauen und achtete noch mehr auf Nicole. Ansonsten begann ich auf Disney+ diverse Serien und Filme u.a. Hannah Montana, The Avengers (und all die einzelnen Marvel-Filme). Auf Netflix US startete ich mit “The Fosters“, in die ich mich direkt verliebte, als in der ersten Folge bereits klar war, dass die Familie zwei Mütter hatte. Sowieso ist die Serie so divers und ehrlich. I like. Zu Beginn des Home-Office schaute ich “One day at a time“, da mir einige Szenen von Elena immer wieder auf Youtube vorgeschlagen wurden. Auch diese Serie schloss ich in mein Herz. Aktuell läuft bei mir auch noch “Hinter Gittern – Der Frauenknast” einer Serie von RTL, die ich Teenager gesehen hatte. Es hat etwas Nostalgisches.
Kein Ende und doch der Anfang
Nach 100 Tagen im Home-Office war ich also am Montag erstmals wieder im Büro. Es tat so verdammt gut. SO. VERDAMMT. GUT. Seit drei Tagen komme ich nach Hause in dem Wissen, dass ich Freizeit habe und mein privater Raum nicht mit dem Beruf geteilt werden muss. Keine Arbeit, die irgendwie danach schreit, doch noch ein paar Stunden abzuknöpfen. Genau das, was ich wieder gebraucht habe. Außerdem konnte ich endlich wieder meine Kollegen*innen sehen. Mit Maske und Abstand und nicht allein.
COVID-19 ist lange nicht vorbei und ich bin mir der Gefahr jeden Tag bewusst. Ich wäge daher jeden Tag ab, wann ich wo hin gehe und wie lang. Ich vermeide ansonsten weiterhin Menschenmassen und gehe in diese nur zum Einkaufen oder Arbeiten, stets mit Maske! Auch wenn viele mit ihren Verschwörungstheorien daherkommen und meinen, dass es Corona nicht gäbe: In meinem Umfeld sind/waren sehr viele daran erkrankt, teils auch lebensbedrohlich. Also hört auf, wie kleine Mimosen zu jammern, euch würde die Freiheit eingeschränkt. Lieber eine Maske, als keine Lunge mehr.
Hey Heffa,
hach, Du. Kannst. Schreiben! Ich mag Deine Blogbeiträge total gerne. Bei uns war kein Home Office möglich, wir arbeiteten teilweise in Schichten. Ist schon eine komische Zeit. Vor kurzem war ich zum ersten Mal wieder im Stadion und das hat mir gut getan. Klar überlegt man zweimal, bevor man was macht. Aber das war nötig 😉
Schön, dass Du Video-Calls mit KollegInnen hattest und das zu einer Art Ritual geworden ist.
Liebe Grüße Melli
Hallo Melli,
vielen Dank für die lieben Worte! Ich denke, wenn man in der Pandemie eine Art Normalität findet, ist das auch okay. In 1-2 Jahren wird es kein Thema mehr sein, denke ich.
Ich war am vergangenen Sonntag auch das erste Mal seit März wieder auf einem Football-Feld, dieses Mal zum Zuschauen des eigenen Teams. Es ist alles seltsam, aber man gewöhnt sich an Abstand und Maske doch ganz gut. Die meisten Menschen sind ja dann doch vernünftig.