Seit dem der Gewinner des Eurovision Songcontest (kurz: ESC) 2018 feststeht, ist das Internet voller Menschen, die Musik mit der politischen Situation in Israel gleichsetzen. Menschen, die selbst erklärte Musikexperten sind, die bestenfalls einmal alle fünf Jahre den ESC schauen. Ich verstehe das Argument, dass der Song seltsam ist. Mir ging es auch so. Aber fangen wir von vorn an.
Vor dem Eurovision Songcontest 2018
Es war der 11. März 2018, als auf dem offiziellen Eurovision Songcontest Youtube-Kanal die neuesten offiziellen Musikvideos der antretenden Künstler veröffentlicht wurden.
Die Geburt eines Internet-Ohrwurms
Ich hörte mir diese Playlist nebenbei an, als ich just durch ein “riiiii-ouch-hey-hmmm” (auf Youtube ansehen) erschreckt wurde. Schnell fasste ich den Entschluss: das ist der seltsamste Beitrag des Contests. Ich schickte das Video schnell Freunden weiter, während ich das Lied zu Ende hörte. Im Anschluss daran hörte ich es noch einmal, und noch einmal. Teilte es im Büro mit Kollegen.Am 12. März hörte ich das Lied 8h lang auf der Arbeit. Ich verliebte mich, denn dieses gackernde Huhn hatte mich vollends. Anfangs dachte ich also genauso, wie jene, die jetzt nach dem Finale so erschrocken sind.
Heranwachsen zum Titelfavoriten
Aber dieser Song hat irgendwas magisches. Als ich das Video das erste Mal gesehen habe, dachte ich noch, dass die Sängerin an Tourette leiden würde. Dann wurde mir immer mehr bewusst, dass es ein Stilmittel ist, das geschickt eingesetzt wurde. Ich wollte wissen, wie dieses Lied Live klingen würde, und suchte, fand aber nichts. Lediglich zwei Beiträge vom Israelischen Vorentscheid. Doch die reichten, um mich von ihren Qualitäten als Musiker zu überzeugen. Eine Woche später, auf der Leipziger Buchmesse, sangen schon meine Buchmenschen mit mir das Lied, da hatte es bereits fast 8 Millionen Aufrufe. Für mich stand nach dem 1. Tag fest, dass Netta mit “Toy” für Israel gewinnen würde. Der einzige Grund, warum dies nicht geschehen sollte, wäre gewesen, wenn man politisch entschieden hätte. Und das Internet tat sein Übriges, denn heute wissen wir, wer gewonnen hat.

Eurovision Songcontest 2018: Eröffnungsfeier
Der diesjährige Songcontest stand unter dem Motto “All Aboard”, also “alle Einsteigen”. Es lud dazu ein, auf eine besondere Reise zu gehen, leider war der Blue Carpet, vor dem Semi-Final, schon das spannendste. Die vier Moderatorinnen begrüßten die Teilnehmer von einem Boot aus (die Opening Ceremony auf Youtube ansehen). Anstelle des roten Teppichs gab es einen blauen, um die Nähe zum Meer zu symbolisieren. Auch die Einspieler vor den Finals war immer irgendwas mit Fischen und Wasser. Das war es aber auch.
Eurovision Songcontest 2018: Semi-Finals
Die Show, die Pausenfüller, alles war so unglaublich langweilig. Seit 2015 ist es der erste Eurovision Songcontest, auf den ich mich wieder gefreut habe, den ich im Vorfeld wieder intensiv verfolgt habe. Aber sie haben mich einfach nicht abgeholt. Die Einspieler vor jedem Land wurden immer mit einer Tür eröffnet. Der Interpret trat durch diese an irgendeine Stelle in Portgual. Das war ganz nett, um Eindrücke von Portugal zu vermitteln. Die Stelle, die Interpret, Land und Texter zeigte, war dagegen sehr cool gestaltet: unter Wasser mit, Seegras oder sowas in den Farben der jeweiligen Flagge. Meine Favoriten vom 1. Halbfinale (die Verlinkung führt jeweils zum Video des 1. Semi-Finals auf Youtube): Albanien, Tschechien, Litauen, Israel, Mazedonien, Irland und Finnland. Ins Finale kamen bis auf eine alle davon. Der Liveauftritt von Mazedonien hat mich enttäuscht und wurde vielleicht deshalb nicht ins Finale gewählt. Im ersten Halbfinale traten zu dem die drei späteren Top 3 an. Israel wurde im 1. Halbfinale mit 283 Punkten Platz 1, gefolgt von Zypern mit 262 Punkten und Tschechien mit 232 Punkten [1]. Österreich wurde vierter im ersten Halbfinale mit 231 Punkten. Der Großteil meiner restlichen Favoriten im 2. Halbfinale kamen leider nicht weiter.
Eurovision Songcontest 2018: Grand Final
Langweilig, langweilig, langweilig. Zumindest alles außer der Interpreten. Eigentlich schade, denn so wirkte es einfach nur billig im Vergleich zu anderen Austragungsorten der Vergangenheit. Man muss ja nicht gleich mit 5G und 4K aufwarten, aber ein bisschen mehr Programm hätte ich mir schon gewünscht. Da war es fast schon ein Highlight, als so ein Troll auf die Bühne gerannt kam, um irgendwelchen Müll zu labern und so der britischen Vertreterin die Show zu stehlen. Chapeau an SuRie, die grandios weiter gesungen hat. Schade, dass sie für ihre Leistung im Allgemeinen viel zu wenig geehrt wurde (Performance auf Youtube anschauen).
Die Punktevergabe
Sei es drum, nach allen Auftritten folgte das spannendste am Abend: die Punktevergabe. Warum man den Jury-Punkten die Zeit gibt, von den Länder verkündet zu werden, versteh ich nicht. Zumal die wichtigen Punkte aus dem Publikum am Ende nur als Zusammenfassung runtergebetet wurden. Aber, wow, das war gegen Ende schon spannend. Wie zur Hölle ist denn Deutschland plötzlich unter die Top 5 gekommen? Österreich Platz 1? Was war da denn los. Am Ende hieß es nur noch: Zypern oder Israel. Zypern bekam die zweithöchste Zuschauerpunktzahl. Damit stand fest: Israel hatte mit 529 Punkten gewonnen (2. Zypern mit 436 Pkt., 3. Österreich mit 342 Pkt. [2]).
Die Gewinner-Song
Meine Netta. Die, die ich von Anfang an als Gewinnerin des Contests gesehen habe. Jene, die so vieles bedeutet. Was aber macht das Internet? Es trollt, meckert und vor allem macht es body shaming. Schämt euch! Ich freue mich unglaublich für Netta, denn Toy war für mich der einzige Song, der dieses Jahr gewinnen durfte. Glückwunsch aber auch an unseren deutschen Vertreter, der uns überraschenderweise den vierten Platz (340 Punkte) nach Hause geholt hat (Performance auf Youtube anschauen)! Hier die Gewinner Performance von Netta, der man stimmlich die Freude anmerkte.
Quellen
[1] Voting Results, First Semi-Final, Eurovision Songcontest 2018, https://eurovision.tv/event/lisbon-2018/first-semi-final/participants
[2] Voting Results, Grand Final, Eurovision Songcontest 2018, https://eurovision.tv/event/lisbon-2018/grand-final/participants
Weitere Links und Informationen
- Alle Interpreten und Songs des 1. Semi-Finals anschauen: auf Youtube.
- Alle Interpreten und Songs des 2. Semi-Finals anschauen: auf Youtube.
- Alle Interpreten und Songs des Grand Finals anschauen: auf Youtube.
Huhu,
sei mir nicht böse, aber ich finde es schade, dass du sagst, dass das Lied nur dann hätte verlieren können, wenn man politisch gewählt hätte. Damit sagst du ja durch die Blume, dass alle, die das Lied nicht mögen, Antisemiten sind.
Ich persönlich fand es schlicht und ergreifend musikalisch unterirdisch. Es hatte Seltenheitswert UND eine feministische Botschaft, die ich gut finde, ja. Aber der ESC sollte eigentlich vor allem musikalische Leistungen würdigen. Ich weiß, dass das Wunschdenken ist. Im letzten Jahrzehnt gewann kaum etwas, was ich auch nur halbwegs als ohne Ohrenkrebs hörbar empfand.
Aber in diesem Jahr war es eben noch schlimmer. Ich mag allein dieses Elektronische, das Schreiende nicht. Mein Fall wären eher der Ex-Common-Linnets Pornocowboy und die Kuschelwikinger gewesen. Selbst Deutschland war dieses Jahr tatsächlich hörbar.
Aber Israel? Nein, sorry. Aber es beweist mir halt nur wieder, dass ich den Massengeschmack schlicht …bäh finde. Das merke ich aber auch jedes Mal, wenn ich das Radio anmache.
Wenn ich dafür in deinen Augen Antisemit bin, bitte. Aber ich hätte es eigentlich lieber, wenn du mir zugestehst, dass ich das Lied auch einfach so nicht mögen kann, weil es schlicht ein Stil ist, der mir unangenehm ist. So wie ich dir zugestehen kann, dass du es eben magst und mich für dich freue, weil dein Favorit gewonnen hat.
Liebe Grüße
Taaya
Hallo taaya,
Schade, dass es so rüberkam. Mir ging es mit dem politischen Aspekt in keine spezielle Richtung. Das war eher daran angelehnt, dass der ESC unpolitisch ist und auf politischer Eben Israel aktuell eben schwierig ist.
In der Vergangenheit wurde der ESC oft politisch entschieden, in dem man seinen verbündeten Nachbarländern Stimmen gab (Stichwort: Ostblockstaaten)
Ich hab in keinsterweise angedeutet, dass es hier um Antisemitismus geht. Das meine ich wie gesagt auch nicht. Schade, dass der Beitrag so für dich rüberkommt.
Und was das Musikalische betrifft: bin ich bei dir. Deswegen habe ich aber versucht zu erklären, warum der Song für mich als einziger Gewinner in Frage kam. Ich fand in anfangs eben auch genauso schrecklich, aber ich fand irgendwann gefallen daran, obwohl es absolut nicht meine Musik ist (ich höre lieber singer songwriter oder alternative oder college punk rock).
Das Musikvideo ging nach 1 Woche mit 8 Mio Aufrufen auf Youtube durch die Decke. Deswegen hatte ich dadurch den Eindruck, es kann dieses Jahr nur dieses Lied gewinnen. Der einzige Grund, warum das nicht passieren sollte, war für mich eben, wenn politisch gevotet werden würde (wie damals mit dem Ostblock weswegen das Juryvoting mehr Bedeutung bekam). Was eben falsch gewesen wäre, weil der ESC eigentlich unpolitisch ist.
Und ja ich gestehe es dir doch zu, dass fu es nicht mögen kannst, habe ich auch nirgends angezweifelt. Mir ging es um die Internet Trolle die konstruktive Meinung und Hassreden verwechseln.
Ich bin ganz ehrlich: politisch was da in Israel passiert ist fragwürdig und hat eben genau deswegen beim ESC vorerst nichts zu suchen. Nicht umsonst wird gerade diskutiert, wo es 2019 stattfinden soll. Aber darum soll es hier auch nicht weiter gehen.
Viele Grüße, Heffa